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Boliviens „weißes Gold“ – eine Chance in schwierigen Zeiten?

Trotz einiger Rückschläge seit 2005 hat sich das Rating der internationalen Kreditrating-Agenturen wie Moody’s, Standard & Poor’s oder Fitch für Bolivien insgesamt verbessert. Das ist dem Wirtschaftswachstum, der positiven Entwicklung der Staatseinnahmen und Devisenreserven zu verdanken. Seit 2019 gibt es jedoch Anzeichen einer Wirtschaftskrise, die sich Mitte 2023 deutlich im Mangel an Dollarnoten zeigt. In solch angespannten Zeiten stellt sich die Frage, welche Chancen die Industrialisierung der Lithiumvorkommen bieten kann.

Laut einer Studie der Deutschen Rohstoffagentur droht bis 2030 ein weltweiter Lithiummangel. Dies ist auf die politisch vorangetriebene Substitution von Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren in Deutschland und Europa zurückzuführen. Bolivien hat dies erkannt und in den letzten Jahren intensiv an der Industrialisierung des Lithiums gearbeitet. Das Land verfügt über enorme Vorkommen, die ein wichtiger Rohstoff für die Produktion von Batterien sind, die in Elektrofahrzeugen und anderen Anwendungen eingesetzt werden. Die bolivianische Regierung hat die Lithiumindustrie als Schlüsselbereich für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes definiert und 2017 das Staatsunternehmen „Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB)“ gegründet.

Führende Expert*innen auf dem Gebiet der Rohstoffindustrie und Energiepolitik betonen, dass Bolivien einen wichtigen Platz auf dem Weltmarkt für Lithium einnehmen kann, wenn es gelingt, die Produktion und Verarbeitung des Rohstoffs zu optimieren.

Ein zentraler Faktor für den Erfolg der Lithiumindustrie in Bolivien ist die Schaffung einer effizienten Wertschöpfungskette. Der gesamte Prozess, von der Förderung des Rohstoffs bis zur Herstellung von Batterien, sollte vor Ort stattfinden. Dadurch könnten Arbeitsplätze und Wohlstand in der bolivianischen Wirtschaft geschaffen und die Abhängigkeit von ausländischen Märkten verringert werden. Dies ist die Vision der nationalen Industrialisierungsstrategie, die von der bolivianischen Regierung verabschiedet wurde. Sie sieht vor, dass die Gewinnungsphase, also die Herstellung von Lithiumsalzen wie Lithiumcarbonat, ausschließlich YLB vorbehalten ist und YLB in der Wertschöpfungskette, also bei der Herstellung von Kathodenmaterialien, Zellen und Batterien, mit strategischen Partner*innen zusammenarbeiten kann.

Die bolivianische Regierung hat bereits Maßnahmen ergriffen, um die Wertschöpfungskette zu stärken. Es wurde ein Konsortium aus bolivianischen und deutschen Unternehmen gebildet, das zum Ziel hat, Lithium in Bolivien zu produzieren und zu verarbeiten. Ein weiteres wichtiges Projekt ist der Bau einer Lithiumbatteriefabrik in Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen. Im Januar 2023 wurde bereits ein entsprechendes Abkommen mit dem chinesischen Konsortium um den Batteriehersteller CATL und das Unternehmen BRUNP zur Umsetzung des Verfahrens der direkten Lithiumgewinnung (DLE) in Bolivien unterzeichnet.

In Berichten aus Deutschland wird häufig auf die Umweltprobleme des Lithiumabbaus hingewiesen. Die Industrialisierung von Lithium in Bolivien kann zu verschiedenen Umweltproblemen führen. Ein großes Problem ist der Wasserbedarf für den Produktionsprozess von Kaliumchlorid und Lithiumcarbonat im Salar de Uyuni. Allerdings wird dieses Problem durch die jährlichen Regenfälle im Becken des Salar de Uyuni gemildert, die den Salar in den Monaten Dezember, Januar, Februar und März überfluten. Zudem baut YLB eine Anlage zur Entsalzung von Brackwasser, um den Einsatz von Süßwasser in diesem Prozess zu verringern.

Eine weitere Hürde für den Erfolg der Industrialisierung des Lithiums ist die politische Polarisierung des Landes. Diese Instabilität erschwert langfristige und verbindliche Vereinbarungen, wie es 2019 bei einem Kooperationsvertrag mit dem baden-württembergischen Unternehmen ACI Systems und dem Unternehmen K-Utec aus Thüringen der Fall war. Eine Privatisierung des Lithiums wird durch das Gesetz 928 verhindert, das dem Staat die 100-prozentige Kontrolle über die Evaporit-Ressourcen und Lithium bei der Produktion und Vermarktung von Lithium, Kalium und anderen Produkten der Evaporit-Kette zuspricht. Die Beibehaltung dieser gesetzlichen Rahmenbedingungen wird von künftigen Regierungen abhängen und die Einnahmen für den bolivianischen Staat beeinflussen. Eine Privatisierung der Vorkommen würde mittelfristig wahrscheinlich nur unter Inkaufnahme hoher politischer Kosten und massiver Proteste möglich sein.

Insgesamt bietet die Lithiumindustrie Bolivien ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Mit der derzeitigen Lithiumkarbonat-Industrieanlage, die Ende dieses Jahres in Betrieb genommen wird und eine Kapazität von 15.000 Tonnen/Jahr aufweist, könnten Einnahmen von etwa 420 Millionen Dollar erzielt werden, basierend auf dem aktuellen Lithiumpreis im Mai 2023 von 28.000 Dollar je Tonne. Im besten Fall könnten bis 2028 zwei weitere Anlagen gebaut werden, die insgesamt 55.000 Tonnen Lithium produzieren und etwa 1.540.000.000 US-Dollar an Einnahmen generieren würden. Dies könnte Bolivien mittel- und langfristig von seiner Abhängigkeit von Gasexporten entlasten und die Devisenreserven wieder anwachsen lassen. Mit der passenden Strategie und richtigen Umsetzung kann das Land eine führende Rolle auf dem globalen Lithiummarkt einnehmen und gleichzeitig Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Ob dies trotz politischer Instabilität, Devisenknappheit und starker Konkurrenz der Nachbarländer Chile und Argentinien gelingt, bleibt abzuwarten.

Für das Bolivianische Kinderhilfswerk ist vor allem spannend, ob das Joint Venture mit Deutschland wieder belebt wird. Durch den Wissenstransfer durch Stipendien und Studienprogramme sowie eine verstärkte wirtschaftliche Kooperation könnten sich neue Chancen auch für Austauschprogramme ergeben. Für die Durchführung des weltwärts-Programms ein Mindestmaß an politischer Stabilität und öffentlicher Ordnung notwendig, welches durch mögliche politische Unruhen gefährdet werden könnte. Für die Kinder und Jugendlichen in den Partnerorganisationen des Bolivianischen Kinderhilfswerks ist es wünschenswert, dass Bolivien das „weiße Gold“ nachhaltig und im Einvernehmen mit allen Beteiligten abbauen kann.

Quellen:

https://latina-press.com/news/310994-bolivien-steht-am-rande-einer-wirtschaftskrise/

http://www.unq.edu.ar/advf/documentos/5bae6daf5bd3d.pdf

https://cedla.org/publicaciones/ieye/un-presente-sin-futuro/

http://programasocioambiental.blog.unq.edu.ar/wp-content/uploads/sites/4/2016/04/abc-litio.pdf

https://jubileobolivia.com/Publicaciones/Revistas-Especializadas/litio

http://www.unq.edu.ar/advf/documentos/5bae6daf5bd3d.pdf

http://www.tanitani.de/index.php?id=litio-retomar-la-industrializacion-del-litio

https://www.golem.de/news/bolivien-china-erhaelt-zugriff-auf-weltgroesste-lithiumvorkommen-2301-171443.html

https://www.golem.de/news/dera-studie-lithiummangel-bremst-elektroauto-ziele-aus-2206-166365.html

https://www.golem.de/news/akkuproduktion-bolivien-schreibt-pilotprojekte-zur-lithiumgewinnung-neu-aus-2105-156187.html

https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_84935586/deutschland-bekommt-lithium-aus-bolivien-.html

https://www.deutschlandfunkkultur.de/lithium-in-bolivien-die-gier-nach-dem-weissen-gold-100.html

www.ylb.gob.bo/resources/normativa_legal/04_ley_928.2017.pdf

https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/bolivien-deutschland-lithium-100.html

https://amerika21.de/2022/07/259054/bolivien-wertschoepfung-lithium

https://www.deutschlandfunkkultur.de/lithium-in-bolivien-die-schwaben-wollen-das-weisse-gold-100.html

https://www.nzz.ch/feuilleton/wem-nuetzt-boliviens-weisses-gold-ein-foto-tableau-von-cedric-gerbehaye-ld.1511806?reduced=true

https://taz.de/Lithiumgewinnung-in-Bolivien/!5709257/

 

 

Fabian MontenegroBoliviens „weißes Gold“ – eine Chance in schwierigen Zeiten?

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